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  • Moritz Gysi

Index 13: Koaxial, kantenbündig und hinterschnitten

«Ein Bild sagt mehr als tausend Worte», behauptet die gängige Redewendung. Als Gestalter weiss Moritz um die Wirkungsmacht von Bildern Bescheid, dennoch ist er der Auffassung, dass diese Phrase nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Für den vorliegenden Text, setzte er sich mit der Rolle von Sprache in der Gestaltung auseinander und merkte schnell, dass es dabei auch um Wahrnehmung, um Ästhetik geht.


Designer:innen haben die Tendenz, es sich mit der Kommunikation ihrer Entwürfe etwas gar einfach zu machen; nicht selten wird ein gestalterisches Erzeugnis kurzerhand als «selbsterklärend» deklariert, eine sprachliche Einordnung als unnötig empfunden. Der visuelle Eindruck, so die Annahme, genüge um die Qualität einer Idee oder eines Entwurfes zu vermitteln.

Für uns, als visuell geschulte Menschen, mag das zwar bis zu einem gewissen Grad zutreffen, doch diese Einstellung verkennt die Komplexität unserer Wahrnehmung. Denn wie können wir sicher sein, dass die von uns erschaffenen Bilder so wahrgenommen werden, wie wir sie meinen? Schliesslich gestalten wir ja nicht nur für unsere Kolleg:innen, sondern auch für ein breites Publikum, welches nicht über die gleiche Seh-Kultur wie wir verfügt.


Kürzlich durchstöberte ich mit einer Bekannten den Onlineshop eines Lampenhändlers, da sie auf der Suche nach einer neuen Stehleuchte war. Im Sortiment fand sich auch das Modell Tolomeo von Michele De Lucchi, worauf ich mich mit der Aussage brüstete, dass dies ein Designklassiker sei. Die Bekannte pflichtete mir dann bei, dass diese Lampe wohl «schön» sei, wagte aber dennoch die Frage, was einen solchen Designklassiker nun auszeichne und brachte mich damit ziemlich in Verlegenheit. Vor die Aufgabe gestellt, die Bedeutung eines Entwurfs zu erklären, begann ich daran zu zweifeln, dass gutes Design für sich selbst spricht: Die viel gerühmte Leuchte tat es in diesem Fall offensichtlich nicht. Doch wie kann man Design erklären? Im Verlauf des Gesprächs merkte ich schnell, dass wir zwar ein und dieselbe Leuchte betrachteten, sie jedoch auf ganz andere Weise wahrnahmen.


Denn während meiner Ausbildung habe ich nicht nur das Erschaffen von Bildern, sondern auch das Deuten von Bildern geübt. Ich wurde in eine Kultur des Sehens eingeführt. Daher kann ich den zeitlichen und kulturellen Kontext eines Entwurfes abschätzen, Referenzen und Hommagen darin erkennen, Typologien feststellen, kann auf Herstellungsverfahren und Material schliessen und am allerwichtigsten: Ich bin es gewohnt, Objekte als Ausdruck einer Idee, einer Haltung zu lesen.

Unsere Wahrnehmung und Deutung von Objekten ist gewissermassen auch Entwurfsarbeit, die von individuellen Erfahrungswerten geleitet wird. So gibt es dabei auch kein richtig oder falsch, weder Michele De Lucchi noch ich können meiner Bekannten vorschreiben, wie sie Tolomeo anzuschauen hat. Doch wir können ihr eröffnen vor welchem Hintergrund diese Leuchte entstanden ist und ihr somit ermöglichen, ein eigenes Urteil zu fällen. Denn explizites Hintergrundwissen hilft die Wahrnehmung zu differenzieren und den Blick zu schärfen. Es ermöglicht ein Design an einer Idee zu messen, es als Ausdrucksform zu verstehen.


Wenn wir Gestalter:innen es nicht wagen die Absichten hinter unseren Entwürfen aufzudecken, machen wir sie unantastbar, im schlimmsten Fall anonym. Verweigern wir den Diskurs, überlassen wir ihn Akteuren wie dem Marketing oder dem «Lifestyle»-Journalismus, welche bisweilen ein arg verzerrtes Bild unserer Disziplin vermitteln: Nicht selten wird etwa von «Designer-Möbeln» geschrieben, wobei deren Mehrwert gegenüber «normalen» Möbeln nicht wirklich ersichtlich wird. Es scheint, dass Design irgendwie teurer ist und von Stil zeugt. Dass neben Designer-Möbeln auch andere Möbel und überhaupt praktisch unsere gesamte Lebenswelt einmal gestaltet wurde, scheint in dieser Welt nicht denkbar. Ironischerweise wird so die sichtbarste Disziplin überhaupt unsichtbar gemacht, indem sie in das Korsett des Extravaganten und Schrillen gezwängt wird. Dabei wirkt Design eigentlich subtil und im Verborgenen. Es ist im Alltäglichen beheimatet, versteckt sich hinter Routinen und Gewohnheiten. Mir wurde erst im Studium bewusst, wie umfassend meine Handlungen durch Design geprägt sind: Die Art und Weise, wie ich morgens aus dem Bett steige, wie ich die Türklinke bediene, wie ich meine Kaffeekanne aufsetze, wie ich den Herd einschalte, wie ich meine Zähne putze und das Wasser aus dem Hahn lasse, wie ich meine Schuhe anziehe und in die Pedalen trete um ans Toni zu fahren, bildet nur einen Bruchteil meiner Interaktionen mit gestalteten Gegenständen ab. Design befasst sich mit weitaus mehr als oberflächlichen Formspielereien oder einer «Verschönerung» von Objekten. So meint der Designtheoretiker Markus Frenzl: «Wenn sich Gestaltung wieder zu einer gesellschaftlich relevanten, ja politischen Disziplin entwickeln will, wird es zunehmend darum gehen, […] Produkte als Ausdruck unserer Zeit, unserer Gesellschaft, unserer Kultur zu kommunizieren und darzulegen, dass sie zu Handlungen auffordern, Sinn stiften und Bedeutungsträger sein können."[1]


Damit dies gelingt, brauchen wir eine Sprache, die uns befähigt unsere Entwürfe in differenzierter Weise wiederzugeben. Eine Sprache, die sich nicht in Floskeln wie «reduziert», «funktional» und «zeitlos» erschöpft, sondern eine, die unsere Wahrnehmung bereichert, die Dinge sichtbar macht, die uns ermöglicht Formen neu zu sehen. Eine Sprache, die uns erlaubt Begriffe wie «reduziert» und «funktional» in einem sinnvollen Kontext wiederzugeben. Die Grundlagen für eine solche, bietet der uns ZHdK-Studierenden wohlbekannte «Formfächer», welchen die Zürcher Hochschule der Künste in Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule Halle realisiert hat: Anhand von 100 Objekten, werden Begriffe eingeführt, die Formen auf verschiedene Art und Weise fassbar machen.


Studiert man ihn, trifft man etwa auf geometrisches Basisvokabular wie Kreis, Quadrat und Dreieck, aber auch auf Sprache, die auf dem Vergleich mit Ähnlichförmigem aufbaut: Bauchig, mandelförmig, sichelförmig, schlauchartig. Wieder eine andere verweist auf ein Herstellungsverfahren: Gebogen, bombiert, tordiert. Oder auf Bewegungen: Rotationssymmetrisch, gespreizt, auslaufend, gewellt, Rücksprung.[2]


Klar wird dabei: Es gibt unzählige Möglichkeiten sich einer Form anzunähern, wobei der Formfächer wohl nur einen Bruchteil davon abbildet. Darin findet sich kein Rezept für die Beschreibung einer Form, sondern Entwürfe einer solchen und Zutaten dafür. Die Sprache selbst existiert erst, wenn wir sie praktizieren, mit diesen Zutaten zu entwerfen beginnen, sie neuinterpretieren, neu arrangieren und weiterentwickeln. Eine Entwurfsarbeit, die der Designpraxis gar nicht so unähnlich ist. Für diese Ausgabe haben sich einige meiner Mitstudierenden an einem Formbeschrieb versucht:



ein sogenanntes Nonagon, Neuneck mit

sechs Zentimeter Durchmesser leicht

konisch gegen aussen zehn Zentimeter

hoch extrudiert, endend in einem Kreis, der

im gleichen Winkel konisch vier Zentimeter

hoch bis zum Durchmesser von neun

Zentimeter ausgeformt ist.


Eileen Good



Acht Ecken unterbrechen eine Linie, sodass beide Enden in die gleiche Richtung zeigten. Wird das Geflecht auseinandergezogen, kommt es als Werkzeug zum Öffnen eines Simkartenschlitzes zum Einsatz.


Acht Ecken unterbrechen eine Linie, sodass beide Enden in die gleiche Richtung zeigen. Die Materialspannung hält die Form in einer Grösse zusammen, dass sie mit einem Daumen abgedeckt werden kann.


Den Umfang eines Apfels und die Höhe zweier Kreditkarten. Die Farblichkeit sowie die Konsistenz erinnern an Fleischkäse. Wenn an der Zunge gezogen wird, lässt der Druck im Glas nach.


Mit zwei Finger können die vergabelten dunklen Hände auseinandergedrückt werden. Anschlagpunkt ist das Handgelenk. Lässt man es los, schnappt es zusammen? Einer der acht Finger fehlt.


David Walsh



Die Ausgangslage, meine BODUM Pfeffermühle, ähnelt einer Bombe oder Burg. Dem Zylinder wurde das Design förmlich appliziert. Der Körper besitzt keine Plastik, alles bewegt sich auf zwei Ebenen. Der nächstmögliche Schritt wäre einen durch Erosion geformten Kieselstein zu gestalten. Was sind die Eigenschaften eines robusten Körpers? Kompakt, schwer, geschlossen, konvex.

Der Griff muss sich in die Hand wölben, ich merke wie eine konvexe Fläche diese füllt, ich spüre Volumen somit Masse. Durch eine mittelfeine Perforierung, millimetertiefe Dellen, wie umgekehrte Noppen, kann mir die Mühle nicht entgleiten. Die Perforierung muss dem Volumen konkav entgegenkommen, da keine Aufbauten die Zeit überdauern werden. Den Deckel richte ich konisch nach oben auslaufend aus, so entsteht in meiner Hand ein Formschluss. Die Mühle kann mir nicht entgleiten, ich kann meine Kraft auf sie übertragen, sie wird zur Verlängerung meines Arms, tagelang werde ich mahlen.


Linus Maurmann







Fotos bereitgestellt von Eileen, David und Linus.

 

Weiterführende Links:


Michele De Lucchi über Tolomeo: https://www.artemide.de/tolomeo/michele-de-lucchi


Der französische Philosoph und Literaturkritiker Roland Barthes über die Citroën DS: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/design-der-neue-citroen-159393.html



Von Moritz Gysi


 

[1] Frenzl, Markus: Was heißt hier Designkultur? Essays zum zeitgenössischen Design 2006 – 2009. 2009 Trademark Publishing [2] Zürcher Hochschule der Künste, Vertiefung Industrial Design, Burg Giebichenstein Hochschule für Kunst und Design Halle: Formfächer. 2009 Av Edition GmbH

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